Graphischer Fahrplan

Hier möchte ich dem Graphischen Fahrplan, im schweizerischen Eisenbahner-Jargon "Graphik" genannt, ein Denkmal setzen. Der Graphik (D = Bildfahrplan) war früher im Stationsdienst ein wichtiges Arbeitsinstrument. Er bot eine Vielzahl von Informationen zu Strecke und Zugsverkehr. Insbesondere war er für die Reihenfolge der Züge massgebend. In der Schweiz gibt es keine Zugsmelder und kein Zugmeldeverfahren wie z.B. in Deutschland. Die Reihenfolge der Züge richtet sich ausschliesslich nach dem graphischen Fahrplan. Nur bei Abweichungen müssen die nachfolgenden Stationen vorgängig informiert werden.

Vergrösserter Ausschnitt des vorangehenden graphischen Fahrplan: Gültig 31. Mai - 25. Oktober 1964, Kreis 3. Zu diesem Zeitpunkt fand in Lausanne die Schweizerische Landesaustellung statt, genannt "Expo". Für diese nur alle 25 Jahre stattfindende Veranstaltung verkehrten zusätzliche Züge. Diese wurden im Graphik mit gestrichelten Linien dargestellt.

 

Stationsspalte von links nach rechts:

  • Höhe der Station über Meer
  • Tunnel 990m lang zwischen Baden und Wettingen
  • Grösstes Gefälle / grösste Steigung
  • Kilometerband
  • Vereinfachter Gleisplan mit Lage des Stationsgebäudes, abzweigenden Strecken und Länge der Ausweichgleise. Turgi ist ein Inselbahnhof, Zürich ein Kopfbahnhof.
  • Jedes + ist eine Blockstation oder eine Blockstelle
  • Namen der Stationen und Blockstellen
  • Distanz zwischen den einzelnen Stationen

Im Kilometerband ist an zwei Stellen die Abkürzung L.A. aufgeführt. Das heisst vermutlich Längenabweichung: Wenn im Laufe der Zeit irgendwo eine Kurve gestreckt oder eine zusätzliche Kurve eingebaut wurde, wird die Strecke dadurch um ein paar Meter kürzer oder länger. Theoretisch müsste man nun die ganze Kilometrierung bis zum Endbahnhof anpassen. Das wird aber nicht gemacht, sondern es entsteht ein sogenanntes Fehlerprofil. Irgendwo fehlen ein paar Meter oder sind doppelt vorhanden. Hier ist das bei Dietikon und Baden der Fall: In Dietikon ist die Strecke um 3m verkürzt worden, während sie in Baden um 74m länger wurde.

 

Bedeutung der verschiedenen Verkehrszeiten

 

Hier schliesslich der eigentliche Graphik, nämlich die Darstellung der Züge. Als Beispiel die Züge oben links,  Turgi - Baden ab 12.00h (ich habe nur ein Kursbuch von 1967 zur Verfügung, die Angaben sind also nur als Anhaltspunkte zu verstehen):

 

120   Städteschnellzug Zürich - Bern - Genève, verkehrt täglich

76 R  Gemäss Zeichenerklärung "mit Schnelltriebwagen geführter Zug", vermutlich ein TEE. Verkehrt täglich.

1442 Personenzug Wettingen - Basel mit unterschiedlichen Verkehrszeiten an Kreis6 (Samstag) oder Kreis4

          (Werktag ohne Samstag)

5126 Güterzug mit Verkehrszeiten Rechteck12 = Werktag ohne Montag und Tage nach Feiertagen

5228 Güterzug mit Kreis3, d.h. verkehrt an Werktagen ohne Stephanstag und 2. Januar

2444 Personenzug mit Nebenaufgaben. Beginnt in Turgi, verkehrt täglich

 

Ein Beispiel in der Gegenrichtung:

Zug 2151 kommt in Turgi um 12.33 an und fährt um 12.36 weiter. Der Strich fängt nicht in Brugg an, sondern in der Mitte zwischen Brugg und Turgi. Das bedeutet, dass der Zug von der einmündenden Strecke aus Waldshut ankommt. In Baden kommt er um 12.42 an und fährt um 12.50 weiter. Er bietet dort an Werktagen (Kreis3) Anschluss an Zug 1545, der um 12.45 nach Zürich abfährt. In Wettingen kommt 2151 um 12.54 an und fährt um 13.04 weiter Richtung Oerlikon.

 

Auf grösseren Bahnhöfen genügt der Graphik allein nicht. Es ist beispielsweise nicht ersichtlich, welches Gleis ein Zug benützen soll oder ob Wagen zu - oder abzuführen waren. Hier gibt es zusätzlich Ein - und Ausfahrtentabellen oder Gleisbelegungspläne. Hier ein Beispiel vom Bahnhof Spiez. Damit es die Rangiermitarbeiter in die Brusttasche stecken konnten, war der Plan in Heftform gestaltet und wurde "Büechli" (= Büchlein) genannt.

 

Bei der BLS wurde am Vortag der Graphik für den nächsten Tag vorbereitet, indem Extrazüge und Zugsausfälle eingetragen wurden. Die Fahrpläne waren unter einer Plastikfolie aufgelegt und konnten mit einem speziellen Farbstift beschriftet werden. Der Graphik sah dann beispielsweise so wie oben dargestellt aus (Fahrplan BLS/BN vom 27.05.1979 - 30.05.1981).

 

Die Farben bedeuteten:

Rot   = Extrazug

Gelb = Zusausfall

Grün = Transport des Baudienst (nicht signalmässig)

Blau  = Zug verkehrt auf dem falschen Gleis einer doppelspurigen Strecke

 

Hier ein letzter Ausschnitt eines Graphik. Dieser Plan ist von Hand gezeichnet, die Betriebsabteilung der BLS beschäftigte dafür extra einen Zeichner.

 

Später wurden dann die Fahrpläne am Computer erstellt. Seit einigen Jahren gibt es sie nicht mehr in Papierform, sondern nur noch am Bildschirm.

 

Eine Sammlung der Fahrpläne der Schweiz (Stand Beginn Fahrplanperiode) ist hier zu finden: Link

 

Auch in anderen Ländern sind graphische Fahrpläne üblich. Hier ein Link nach Norwegen: Link 

 

 

Als ich auf der Leitstelle BLS Cargo gearbeitet habe, konnte man am Umgang mit dem graphischen Fahrplan die Herkunft eines Kollegen abschätzen: Wurde an einer Sitzung oder einer Präsentation ein Graphik gezeigt und ein Kollege sagte "... juhui, ein Graphik, hier sieht man genau das Problem, wir müssen das und das machen...", dann wusste man, das ist ein ehemaliger Stationsbeamter. Wenn sich aber jemand dahingehend äusserte, dass er mit diesem Schnittmuster nichts anfangen könne, dann war klar, das ist ein ursprünglicher Lokführer oder Zugbegleiter.