Kerzers

Kerzers liegt im Kanton Freiburg, ist aber eher auf Bern ausgerichtet. Die Leute sprechen Berner Dialekt und das Dorf ist mehrheitlich reformiert, im Gegensatz zu katholischen Kanton Freiburg.

Die Nähe zu Bern zeigt sich auch im Fahrplanangebot: Nach Bern gibt es pro Stunde 3 direkte Verbindungen mit Zeiten zwischen 18 und 26 Minuten, während es nach Freiburg mindestens 48 Minuten dauert und immer umgesteigen werden muss.

 

Über Kerzers wurde schon viel publiziert. Deshalb hier nicht noch mal die ganze Geschichte, sondern nur ein paar eigene Betrachtungen.

 

Viele Fotos und weitere Informationen finden sich hier:

 

Plan Stand 1. 2. 1938

  • Die möglichen Fahrstrassen sind sehr kompakt: Es sind jeweils alle Ein - und Ausfahrten in die 3 zugehörigen Gleise möglich. Zusätzlich kann noch aus Gleis 11 nach Fräschels ausgefahren werden. Fahrten von / nach Gleisen I - III von / nach Ferenbalm sind nicht möglich, obwohl die Weichen dazu vorhanden sind
  • Gleichzeitige Fahrten Richtung Kreuz sind nicht möglich, also beispielweise eine Einfahrt von Müntschemier und eine Ausfahrt nach Galmiz. Auch gleichzeitige Einfahrten von Müntschmier und Fräschels sind ausgeschlossen 
  • Weichen 1 und 2 sind Schutzweichen und stehen in Grundstellung auf Ablenkung. Bei Fahrten von/nach Ferenbalm muss Weiche 2 Richtung Sicherungsgleis 7 stehen, bei Fahrten von / nach Galmiz Weiche 1 Richtung Gleis 9bis
  • Weichen 20, 21 + 22 sind ausserhalb der durchghenden Nummerierung. Diese wurden wohl erst später eingebaut. Weichen 20 und 21 erschliessen Gleis 9, Weiche 22 führt zum nummernlosen Gleis Richtung SBB-Unterwerk
  • Interessant ist die Nummerierung der Weichenverbindung 12 + 16. Die dazwischenliegenden Nummern 13, 14 + 15 wurden für den Weichenkopf Seite Müntschemier verwendet
  • Diverse Weichen sind mit Fühlschienen ausgerüstet, Weiche 14 hingegen als einzige mit einem Zeitverschluss
  • Diverse Zungenverriegelungen (W2 + 19) bzw. Kontrollverriegelungen (W 1, 3, 15, 21 + 22). Der Unterschied ist in der zugehörigen DV beschrieben: Die Zungenverriegelungen kontrollieren die Stellung der beiden Weichenzungen, die Kontrollverriegelung nur die Endstellung der Zugstange.
  • Als Rangiersignal ist eine rechteckige Scheibe aufgestellt. Im Laufe der Zeit wurde es durch ein Kreuzsignal ersetzt ("Sagbock")

Plan aus Sammlung O. Wileczelek

 

Wenig bekannt ist, dass es auch im Bahnhofsbüro noch eine Bedientafel gab. Von da aus wurden die zahlreichen Bahnübergangsanlagen der Umgebung ferngesteuert und überwacht.  Ferner wurden die apparatemässigen Streckensperren der SBB-Strecke durch den Fdl von hier aus ein- und ausgeschaltet.

Das interessante Bild hat U. Dikenmann in den Tiefen des Internets gefunden

 

Plan mit verschiedenen Varianten der Bern - Neuenburg - Bahn. Die Jahrzahl 1890 scheint mir etwas fraglich, weil die 1876 eröffnete Strecke Payerne - Murten - Kerzers - Lyss noch nicht vollständig eingezeichnet ist. Interessant ist auch die Bezeichnung "BTB" (= Broye-Tal-Bahn?) für diese Strecke.

Eine Variante sieht die "normale" Einführung der BN in den Bahnhof Kerzers mit einem Bogen von Norden her vor. Die direkte Linienführung mit der einzigartigen Bahnhofsanlage von Kerzers wurde erst später entschieden. Auch Richtung Bern stimmt keine der beiden Varianten mit der schliesslich gebauten Strecke überein.

Die Strecke Bern - Neuenburg wurde im Volksmund auch "die Direkte" genannt. Heute ist dieser Name nicht mehr gebräuchlich, aber ich kann mich erinnern, dass mein Vater (Jahrgang 1920) diesen Ausdruck noch verwendet hat.

 

Plan aus Buch "Aus der Geschichte des Amtes Erlach" A. Moser / W.Tanner 1974

 

Eine weitere Besonderheit der Anlage ist der Bahnübergang "Moosgasse" bei km 85.000, der betrieblich sehr ungünstig in der Mitte der Gleise I - III liegt. Der Übergang dient zwar seit dem Bau der Autobahn A1 nur noch dem lokalen Verkehr, besteht aber bis heute unverändert. Bei langen Zügen sind die Barrieren deshalb auch heute noch lange geschlossen. Gelegentlich lassen die Disponenten Güterzüge vor dem Einfahrsignal warten, bis der Gegenzug in die Station eingefahren ist

 

Vor dem Bau der Unterführung führte der Zugang zu den Gleisen 4 - 6 der BN ausschliesslich über den Übergang beim AG. Es gab keine technischen Einrichtungen. Bei allen Zugfahrten (und wohl auch Rangierfahrten) musste ein SBB-Mitarbeiter hinstehen und den Übergang bewachen. Bei Zügen aus Richtung Galmiz wurden zusätzlich Haltesignale erteilt, damit der Lokführer am richtigen Ort anhielt. Das Zugende musste den Übergang unbedingt freilegen.

Es gibt zwar eine formschöne Passarelle über die Gleise. Diese führt jedoch nicht zu den Gleisen der BN, sondern nur zum Unterwerk und wird nur wenig begangen. Es gibt dort auch keinerlei Wohnhäuser. Den grössten Nutzen hat die Passarelle wohl als Standort für Eisenbahnfotografen. Sie ist denkmalgeschützt und wurde vor ein paar Jahren schön restauriert.

 

 

Während gewissen Fahrplanperioden gab es einzelne Züge, die direkt Bern - Kerzers - Murten verkehrten. Deshalb wurden zusätzliche Fahrstrassen eingerichtet. Auf dem Ausschnitt mit Stand 13.11.2000 sind das Fahrstrassen a1 und b1, also von / nach Ferenbalm in / aus Gleis 1. Zeitweise gab es offenbar auch eine Fahrstrasse von Ferenbalm nach Gleis 3. Auf den Fotos von S. Gander (v.a. DSCN 2122 und 2140) sind die entsprechenden Anschriften für Freigabekurbeln und Fahrstrassenhebel erkennbar.  

 

 

 

In meiner Jugendzeit war ich oft in Kerzers. Unter anderem bin 1978-1980 in Biel in die Schule gegangen und dabei täglich in Kerzers umgestiegen. Die mechanischen Signale (ausser dem Rangiersignal) habe ich nicht mehr erlebt. Die meisten Weichen waren noch mit Drahtzug gesteuert, wurden aber nach und nach auf elektrischen Antrieb umgestellt.

 

Eine Erinnerung ist der damalige Bahnhofvorstand B. der ziemlich bekannt war und über den es einige Geschichten gibt:


Er konnte gut zeichnen und seine Skizzen haben es bis ins SBB-Nachrichtenblatt geschafft. Bei SBB-Kaderversammlungen ist er dadurch aufgefallen, dass er jeweils die anderen Teilnehmer skizziert hat, statt den Referenten zuzuhören…


Gelegentlich ging es auch im beschaulichen Kerzes etwas hektisch zu. Ich habe mal gehört, wie er eine Schulklasse zusammengestaucht hat («…ICH HABE DOCH GESAGT, HINTEN EINSTEIGEN UND NICHT VORNE!!!»). Das nicht etwa im direkten Gespräch, sondern via Lautsprecher über den ganzen Bahnhof!

 

 

Als ich 1980 Lehrling im Nachbarbahnhof Müntschemier war, musste ein Zug wegen einer Störung in Kerzers geschlossen ausfahren. Bei uns angekommen, ist der Lokführer ausgestiegen und hat uns das Formular gezeigt, das er für die Vorbeifahrt am Halt zeigenden Signal von B. erhalten habe: Mal war es das falsche Formular, jenes der SBB statt der BLS. Auch die Zugnummer war falsch und alles andere eigentlich auch. Nachdem der Zug weitergefahren ist, hat der Ausbildner gesagt, es sei ein Wunder, dass der Lokführer so überhaupt gefahren sei. Ausser der Formularfarbe (rot) sei alles falsch gewesen. Die Strecke Kerzers – Müntschemier ist schnurgerade, da hat sich der Lokführer wohl gedacht, wenn mir etwas entgegenkommt, sehe ich es ja…

 

Hier eine Zeichnung von B., die im SBB-Nachrichtenblatt 9/1978 veröffentlicht wurde

 

 

Befehlstellwerk und Blick zum Kreuz im Jahr 1987

 

RAe TEE als TGV Zubringer Frasne - Bern, noch vor der Umwandlung in die "Graue Maus"

 

Nachdem die Katze das Gleis überquert hat...

 

...und der Gegenzug eingefahren ist, kann der Zugführer die Abfahrbereitschaft melden...

 

 

...und der Zug Richtung Bern ausfahren. Geschehen ist das Anno 1987

 

Fotos Sammlung S. Niklaus

 

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Kerzers 2017
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Plan vom Stellwerk Elektra 2, das 2004 das mechanische Stellwerk von 1896 abgelöst hat. Für dieses Stellwerk ist die BLS zuständig, obwohl der Bahnhof immer noch der SBB gehört.

 

Betriebstechnisch liegt der Bahnhof auch heute noch an einem Schnittpunkt: Das Stellwerk und die ganze Strecke Bern-Neuenburg wird von der BZ Spiez aus ferngesteuert. Für die Strecke von Palézieux – Murten, die noch keine Fernsteuerung aufweist, ist hingegen die BZ Lausanne zuständig. Die Strecke Richtung Aarberg - Lyss wiederum wird von der BZ Olten aus ferngesteuert.

 

 

Zum Schluss nochmals der ehemalige Bahnhofvorstand B. Im Jubiläumsbuch "Cent ans de chemin de fer dans la Broye 1876 - 1976" hat er alle Stationsvorstände der Strecken Palézieux - Lyss und Yverdon - Fribourg zeichnerisch festgehalten und somit auch sich selber.

 

Nachdenklich stimmt die Angabe von 15 Angestellen. Nachdem die BLS die Verkaufsstelle auf den Jahreswechsel 2021/2022 aufgehoben hat, ist der Bestand auf Null gesunken.